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"Die Suche nach weiblichen Werten
und Wurzeln wurde mir eine Anliegen"
Elisa Bolliger-Eggli, geb. 1942, Mutter und Grossmutter,
Dipl. Sozialarbeiterin, Bibliothekarin. Ausbildung in
Biodynamischer und Transformationeller Psychologie, Arbeit mit
Märchen und Symbolen.
Seit über 30 Jahren Forschung zum Thema Frauen in der
Kulturgeschichte. Weiterbildung in Literatur, Archäologie,
Symboltheorie und Matriarchatsforschung.
Seminarleiterin. |
Aufgewachsen in einem weltoffenen Elternhaus habe ich nach der
Berufsausbildung geheiratet und war dann gerne Mutter, Ehe-, Familien-
und Berufsfrau. Der späteren Scheidung folgte eine Sinnkrise, welche mir
immer deutlicher machte, wie heimatlos ich mich als Frau im Patriarchat
fühlte.Ich spürte, dass mir der ‚Machismo’ in unserer Sprache, in
Gesellschaft, Kultur und Religion nicht länger zuträglich war. Auch
wurde mir klar, dass die einseitig männlichen Gottesbilder und
patriarchale Gesellschaften nicht vom Ursprung der Menschheit an
existiert haben.
Die Suche nach weiblichen Werten und Wurzeln wurde mir ein Anliegen.
Auf einem Ausstellungsplakat fiel mir in jener Zeit ein uralter
weiblicher Torso mit runden, mütter-lichen Körperformen auf. Die Figurine
strahlte eine faszinierende Würde aus. Beim Besuch der Aus-stellung
erfuhr ich, dass es sich dabei um die ca. 25'000 Jahre alte "Venus von Dolni Vestonice" handelt. Das Bild begleitete mich monatelang, es nährte
mich und stillte in mir eine alte Sehnsucht nach Frausein.
In der Folge entdeckte ich die Sinnbilder der Schwarzen Madonnen, der
Maria mit dem Kind und der zahlreichen Göttinnen in allen Kulturen. Alle
verkörperten sie Würde, Geheimnis, Mütterlichkeit und weise Weiblichkeit
in bisher unbekannter Vielfalt und Schönheit.
Ich lernte die naturverbundenen, friedlichen, zyklisch orientierten, von
Gerechtigkeit und natürlicher Würde für beide Geschlechter geprägten
matriarchalen Gesellschaften in aller Welt im Laufe der Jahre immer
besser kennen. Die aktuelle Forschung insbesondere von Frauen entdeckt
fortlaufend weitere matriarchal geprägte Volksgruppen.
Parallel zu meinem Forschen im "Aussen" war es intensive Arbeit in der
Psychotherapie, das Bild der patriarchal sozialisierten Frau und des
Weiblichen in mir zu wandeln.
Es wurde ein immer drängenderes Anliegen, weiblich geprägte Kultur auch
in meiner unmittelbaren Umgebung zu finden. Das führte mich in langem
Suchen und Erkunden vor allem im Bündnerland zu erstaunlichen
Ergebnissen:
Historische Quellen berichten und archäologische Funde belegen, dass in
alten Zeiten in den Gebieten des heutigen Kantons Graubünden, aber auch
in den umliegenden Alpenländern die Göttin Rhätia (Reitia) verehrt
wurde. Sie ist die typische Muttergottheit: Spenderin allen Lebens,
Göttin der Heilkunst, Weberin und Spinnerin, Patronin der Sprache,
Herrin über das Totenreich.
In Falera, der megalithischen Kultstätte aus der Bronzezeit, berichten
uns die Steinsetzungen von Sonnen-, Mond-, Venus- und Isiskulten der
damaligen Menschen. Noch in der Eisenzeit verehrte das heimische Volk im Kult
weibliche Göttinnen:
Isis – Artemis – Hekate – Rhätia
Das Lied der Sontga Margriata aus dem 6. - 8. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung besingt dann die dramatische Vertreibung der
Fruchtbarkeitsgöttin aus ihrer Landschaft. Über tausend Jahre lang wurde
dieses Lied von den Bündner Bäuerinnen mündlich tradiert, wobei im Namen
der Marga-retha die alte Rhätia noch erhalten ist. In den Kirchen und
Kapellen der Val Lumnezia sind die kunstvollen Darstellungen Heiliger
Frauen in den Altären seltener Beweis matriarchaler Verehrung.
So rundeten sich die einzelnen Themen meiner Forschung zur
Kulturgeschichte des Weiblichen über einen Zeitraum von fast 4000
Jahren.
Nun vermitteln das Wochenseminar oder ein Kurswochenende im Val Lumnezia
aufgrund von Ausflügen mit Besichtigungen, durch Vorträge, mit dem
Erzählen von Märchen und Legenden und dank den Kunstwerken und der
Symbolsprache alter Kulturen die weibliche Weisheit, Naturverbundenheit,
Heilweise, Kunst und Spiritualität unserer AhnInnen. Diese lassen die
Lebens- und Sinnzusammenhänge für uns Frauen heute wieder sichtbar
werden.
In den Gesprächsrunden an den Kursabenden werden die persönlichen
Eindrücke und Erfahrungen unter den Teilnehmerinnen ausgetauscht und
vertieft.
Jüngere und ältere Frauen, in der Mehrzahl Frauen in der zweiten
Lebenshälfte, erfahren die Tage als ‚nährend’ und bereichernd. Einzelne
haben den Eindruck, es seien ihnen Fenster in eine neue Welt geöffnet
worden. ‚Die äusseren Bilder’ sagt eine Teilnehmerin, ‚stossen in meinem
Innern auf Resonanz.’
Durch die Erfahrungen während der Seminartage fühlen wir uns in unserm
Frausein gestärkt und wir spinnen weiter an den Erkenntnissen.
Bisher haben, wenn die Frauen damit einverstanden waren, einzelne Männer
an den Kursen teilgenommen.
Aarau, im Dezember 2012
Elisa Bolliger-Eggli
Der Artikel erschien 2012 in der Zeitschrift "Hortensia"
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